Welchen Tourismus wollen wir?
Teile des Schweizer Tourismus setzen weiterhin auf internationale Gäste, welche noch schneller auf die Berge transportiert und mit verschiedenen Attraktionen bespasst werden. Dieser Massentourismus bringt den Unternehmen, welche diese Anlagen kontrollieren, hohe Gewinne, die an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Aber: Ist dieser Tourismus mit den Interessen der Anwohnenden und des lokalen Gewerbes verträglich?
Im öffentlichen Verkehr liegt die Planungshoheit bei der öffentlichen Hand, welche die Ausbauten in raumplanerische Konzepte einbettet und die Vorgaben der Energie- und Klimapolitik berücksichtigt. Schlussendlich ist es ein demokratischer Entscheid des Parlaments, das über die Projekte entscheidet. Im touristischen Bereich treiben gewinnorientierte Unternehmen den Ausbau vorn, die in gewissen Regionen eine dominante wirtschaftliche Stellung haben und sich nicht scheuen, die wirtschaftliche Macht auch auszuspielen. Kantone und Gemeinden müssen mehr Verantwortung übernehmen, um Ausbauten umwelt- und sozialverträglich zu gestalten und die Wertschöpfung auch dem lokalen Gewerbe zukommen zu lassen. Schlussendlich liegt es bei der ansässigen Bevölkerung, dass sie sich aktiv für einen umwelt- und anwohnerverträglichen Tourismus einbringt.
Interview erschienen im Newsletter von Pro Grindelwald Dorf im April 2025: https://progrindelwalddorf.ch
Wieso interessiert sich der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Verkehr für die Erneuerung der Firstbahn?
Ich habe keine persönlichen Beziehungen zu Grindelwald. Die Jungfrau-Region ist jedoch mein Lieblings-Wandergebiet. Zudem ist das Bundesamt für Verkehr für die Genehmigung der Seilbahnanlagen zuständig, so dass sich hier privates und berufliches Interesse verbinden.
Welche konkreten verkehrstechnischen oder infrastrukturellen Gründe sprechen aus Ihrer Sicht gegen die neue Linienführung der Firstbahn?
Die Linienführung ist nicht entscheidend. Grindelwald sollte überlegen, welchen Tourismus sie wollen: Massentourismus mit schnellen Bergtransporten oder Gäste, die das Dorf erleben und dem lokalen Gewerbe einen Verdienst sichern.
Was heisst das für die Linienführung und gibt es alternative Streckenführungen oder Lösungen, die Ihrer Meinung nach sinnvoller gewesen wären, aber nicht berücksichtigt wurden?
Wenn für den First das gleiche Geschäftsmodell gewählt wird, wie es mit der V-Bahn umgesetzt wurde, dann macht es Sinn, die Talstation im Grund zu bauen, wo bereits ein öV-Knoten und Parkplätze für Autos und Busse bestehen. Dann würde der Verkehr aus dem Dorf verlagert.
Wenn ein sanfterer Tourismus gewählt wird, dann könnte die Talstation am bisherigen Ort verbleiben. Es müsste jedoch noch stärker gefördert werden, dass die Gäste mit dem öffentlichen Verkehr anreisen.
Wurden bei der neuen Linienführung ab dem Bahnhof Grindelwald die Auswirkungen genügend geprüft?
Der Schlüssel dazu ist ein Verkehrskonzept, dass aufzeigt, dass in diesem stark belasteten Knotenpunkt eine weitere Verkehrsanlage mit hoher Kapazität integriert werden kann. Für mich ist unklar, wie das Verkehrsproblem mit einem hohen Anteil an Gästen, welche mit dem Auto anreisen, gelöst werden kann.
Hat die neue Linienführung langfristig doch nicht einen wirtschaftlichen oder touristischen Vorteil für die Region bringen? Falls nein, warum nicht?
Die geplante Linienführung ab Grindelwald Bahnhof setzt vor allem auf ausländische Gäste aus Übersee und Asien, diese Strategie bringt derzeit für die Jungfraubahn viel Geld ein, birgt aber sehr grosse Risiken. Eine breitere Marktverteilung würde die Abhängigkeit reduzieren und die Region widerstandsfähiger machen. Die Diskussion über die Tourismuszukunft von Grindelwald sollte unbedingt vor der Entscheidung zur Linienführung geführt werden.
Wie bewerten Sie den Entscheidungsprozess der zuständigen Behörden und Unternehmen – wurden alle Interessen angemessen berücksichtigt?
Die bisherigen Diskussionen sind meiner Ansicht nach überwiegend durch die unternehmerischen Interessen der Jungfraubahnen geprägt. Sie will Geld verdienen. Der Bau von neuen Infrastrukturen hat jedoch auch raumplanerische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen für die Region zur Folge. Diese Diskussion fehlt mir.
Gibt es Befürchtungen, dass die neue Streckenführung zu negativen Entwicklungen bezüglich des Dichtestresses in Grindelwald als Folge des Übertourismus führen könnte?
Die neue Linienführung ist Ausdruck einer Stossrichtung, welche auf Massentourismus setzt: Mehr Kapazität, schneller auf dem Berg, schneller wieder weg. Das Geschäft findet auf dem Berg statt, wo die Touristen unterhalten und verköstigt werden. Die ganze Wertschöpfung kann so durch eine Unternehmung kontrolliert und abgeschöpft werden. Es wäre meiner Ansicht nach die Aufgabe der kommunalen Behörden dafür zu schauen, dass die Wertschöpfung stärker auf das Gewerbe und die Bevölkerung verteilt wird, welche ja auch die Nachteile des Übertourismus zu tragen hat.
Wie stellen Sie sich eine bessere Lösung für die zukünftige Entwicklung der Firstbahn vor, und welche Massnahmen hätten Sie bevorzugt?
Auch wenn Ratschläge von Auswärtigen nicht gerne gehört werden: Ich würde die Talstation am bestehenden Ort belassen. Die Fristbahn soll erneuert und die Linienführung kann gestreckt werden, um die Kapazität zu erhöhen. Als Zielpublikum würde ich auf Familien und Pensionierte setzen, die mit dem öffentlichen Verkehr anreisen und bei welchen ein Spaziergang durch Grindelwald zum unvergesslichen Erlebnis gehört. Für ausländische Gästen wäre der Mehrwert, dass sie erzählen können, dass sie wie Schweizer und Schweizerinnen Ferien in der Schweiz verbracht hätten.